Selbstorganisation

Viele der schwierigen Probleme, mit denen wir in Organisationen konfrontiert sind gründen auf der Art und Weise, wie wir organisieren und zusammenarbeiten. Diese Effekte verstärken sich, wenn Unternehmen wachsen. In den letzten zwei Jahrzehnten entstanden mehrere agile Methoden und Frameworks – wie Scrum, Soziokratie, Holokratie oder Soziokratie 3.0 – um die Herausforderungen durch Selbstorganisation in Unternehmen zu lösen.


Diese Methoden versuchen die Selbstorganisation durch die Festlegung eines leichten Rahmens zu ermöglichen. Des Weiteren entfernen sie Titel für Mitglieder. Alle sind gleich, und es gibt keine Hierarchie innerhalb eines Entwicklungsteams. Allerdings erfordern sie in der Regel große Veränderungen. Bedauerlicherweise passt dies nur selten in die Kultur, den Kontext und die Rahmenbedingungen von existierenden Organisationen. Dies führt oft zu schlechten oder gar keinen Implementierungen. In einer globalisierten Welt mit hoher kultureller Vielfalt und zunehmender Komplexität von Marktplätzen und Produkten scheinen solche Rezepte und groß angelegte Veränderungsinitiativen nicht mehr der richtige Ansatz zu sein. Deshalb versuchen wir einen Schritt zurück zu machen und untersuchen die Grundlagen und Vorraussetzungen selbstorganisierender Systeme auf der Frameworks wie Scrum, Soziokratie, Holokratie oder Soziokratie 3.0 basieren. Siehe dazu auch den Artikel Soziokratie, Holokratie, Soziokratie 3.0 [link]

Selbstorganisationstheorie

SelbstorganisationSelbstorganisation bedeutet seine Verantwortung und Verantwortlichkeit zu kennen, verbunden mit der Freiheit, die Erwartungen zu erfüllen, wie immer man es für richtig hält. Grundlage des Selbstorganisationsansatzes ist, dass es zur Entstehung von Ordnung generierenden Systemen, wie sie auch eine Organisation darstellt, keines Planes bzw. keiner gesonderten Leitung bedarf, sie entstehen selbstorganisierend. Der Selbstorganisationsansatz stellt daher eher ein Meta-Konzept dar. Entscheidend ist, ob eine Organisation als selbstorganisierend erkannt und akzeptiert wird oder nicht. Alle weiteren, klassischen oder neuen Formen der Organisationsgestaltung und –entwicklung sind von dieser Meta-Entscheidung abhängig. Die Selbstorganisation beruht auf 4 Kriterien welche Gilbert J. Probst in seinem gleichnamigen Buch aus dem Jahre 1987 wie folgt beschreibt:

Autonomie

Autonomie bedeutet „nach eigenen Gesetzen lebend“, selbstständig, unabhängig, entscheidungs- und verhaltensfrei. Diese liegt dann vor, wenn sich ein System oder eine Organisation selbst gestaltet, lenkt und entwickelt. Entscheidungen werden eigenverantwortlich und unabhängig von externen Instanzen getroffen. Diese Systeme sind jedoch immer noch abhängig von einem Über- oder Gesamtsystem. Es handelt sich demnach um eine relative Autonomie des Individuums oder des Systems in Bezug auf bestimmte Kriterien. Autonomie in Organisationen ergibt sich aus den Prozessen der Dezentralisierung und der Delegation. Sie wird also durch den gegebenen Handlungs- und Entscheidungsspielraum des jeweiligen Autonomieträgers definiert.

Komplexität

Eine selbstorganisierende Ordnung entsteht innerhalb eines Systems durch das Zusammenwirken der einzelnen Elemente. Eine Vielzahl von sich gegenseitig beeinflussenden Elementen ist deshalb eine elementare Voraussetzung für Selbstorganisation. Um Komplexität zu verstehen, hilft es, sich den Unterschied zwischen kompliziert und komplex bewusst zu machen. Komplizierte Systeme entstehen durch eine hohe Anzahl interner Elemente und Verknüpfungen, beispielsweise eine Funktionsbeschreibung einer Maschine. Ausschlaggebend für die Komplexität eines Systems ist die hinzukommende Dynamik zwischen den einzelnen Elementen. Diese lässt sich als Veränderungsrate im Zeitablauf feststellen. Solche Systeme finden man beispielsweise in organischen Kreisläufen. Komplexe Systeme bedürfen daher einer Offenheit gegenüber dynamischen Einwirkungen von außerhalb des Systems. Diese externen Beeinflussungen entwickeln das System zwar weiter, machen es aber auch unberechenbar und intransparent. Unternehmen und Projekte können als komplexe Gebilde also niemals vollständig gesteuert oder geplant werden. Bearbeitet ein Team also einen Aufgabenkomplex in Form eines Projekts, müssen Teammitglieder intensiv zusammenarbeiten. Selbstorganisation ist erforderlich.

Redundanz

Redundanz ist eine weitere Voraussetzung für Selbstorganisation. Systemelemente haben hierbei gleiche oder ähnliche Fähigkeiten oder dieselben Funktionen zum Beispiel in den Bereichen Steuerung oder Gestaltung. Das mehrfache Vorhandensein gleicher Informationen in verschiedenen Elementen der Organisation wird also nicht negativ sondern positiv gesehen, weil dadurch verschiedenere Sichtweisen und Entwicklungspotentiale auf eine Information angewendet werden können. Nimmt die Redundanz zu steigert sich demzufolge das Entwicklungspotential der gesamten Organisation. Wir folgen also dem ethischen Imperativ nach Heinz von Foerster: „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!“ (1973, Über das Konstruieren von Möglichkeiten. S. 49.[Amazon]).

Selbstreferenz

Selbstorganisierte Teams produzieren verschiedene Elemente zur Zusammenarbeit wie zum Beispiel Kommunikations- oder Entscheidungsstrukturen. Da diese Teams operational geschlossen sind, gelten diese Elemente ausschließlich innerhalb des eigenen Systems. Die Elemente des Systems beziehen sich also immer und ausschließlich auf das System selbst. Diese Rekursivität bildet im Team ein Eigenverhalten aus, welche als Richtlinie der Zusammenarbeit interpretiert werden kann. Eine stetige Überprüfung und Anpassung der eigenen Strukturen entwickeln die Richtlinien weiter. Somit entsteht automatisch ein zweckkonformer Ordnungszustand.

Siehe hierzu auch den Artikel zum Thema Inspect & Adapt [link]

GehrigBesserer Transformationsmodell

Diese 4 Meta Kriterien bilden die Grundlage für Frameworks wie Scrum, Sociocratie, Holokratie oder Soziokratie 3.0. In den Artikeln Soziokratie, Holokratie, Soziokratie 3.0 [link] und Soziokratie, Holokratie, Soziokratie 3.0 – Ein Vergleich [link tbr] konnten wir bereits herausarbeiten, warum viele dieser Ideen und Systeme bei der Implementierung in tatsächliche Organisationen scheitern. Oftmals wurde aus den Grundprinzipien der Selbstorganisation eine Systematik entwickelt, die sich zwar sehr gut vermarkten lässt, bei der Implementierung jedoch häufig an ihre Grenzen stößt.

Die eine Lösung für jedes Unternehmen scheint es schlichtweg nicht zu geben. Deshalb definiert die GehrigBesserer GmbH die 4 Kriterien der Selbstorganisation als Leitprinzipien für das GehrigBesserer Transformationsmodell [link tbr]. So können wir mit einem gemeinsamen Verständnis der Grundlagen eine flexible und kundengerechte Methodik entwickeln, ohne Organisationen unnötig komplexe Lösungen überzustülpen.

Roadmap zum Aufbau eines selbstorganisierenden Teams als Scrum Master

Wer ist für den Aufbau von selbstorganisierenden Teams verantwortlich? Wie der Job selbst ist auch der Aufbau eines selbstorganisierenden Scrum Teams eine komplexe Herausforderung für den Scrum Master. Die gesamte Aufgabe kann in drei Schritte unterteilt werden:

1. Training

Unternehmen brauchen motivierte, kluge Köpfe um die täglichen Herausforderungen zu meistern. Von jedem Scrum Teammitglied wird erwartet, dass es über die entsprechend notwendigen Fähigkeiten verfügt. Deshalb müssen Scrum Master Teammitglieder sowie Einzelpersonen schulen. Wichtig für Scrum Master ist es hier nicht selbst der Problemlöser zu sein, sondern das Team dazu zu befähigen Probleme in Zukunft selbst zu lösen. Parallel dazu lohnt es sich, in Verhaltens- und Kommunikationstrainings zu investieren, um die Trainingszeit weiter zu verkürzen. Zertifizierte Scrum-Master bringen ein geeignetes Skillset zum Aufbau geschulter Teams mit.

2. Coaching

Ein Scrum Master muss sich wie ein Coach verhalten, der Teammitglieder bei der Lösung der Probleme anleitet. Manche Teammitglieder benötigen am Anfang vielleicht etwas mehr Anleitung als andere. Von einem Scrum Master ist zu erwarten, dass er die Teammitglieder stetig beobachtet und Bereiche identifiziert, in denen sich das Team verbessern kann.

3. Mentoring

Ein Team zur Selbstorganisation zu erziehen ist auch deshalb eine Herausforderung, weil es schwer ist, traditionelle Arbeitsgewohnheiten zu ändern. Dabei muss der Scrum Master stets mit gutem Beispiel voran gehen und zu jederzeit Herr der Theorie sein. Ein selbstorganisierendes Team braucht aufgabenorientiertes Coaching & personalisiertes Mentoring, nicht das „command & control“.

Ein Scrum Master nimmt im Rahmen seiner Coachingaufgaben verschieden Rollen ein, welche das sind liest du in unseren Artikel Ein Coach und seine Rollen [link]

Vorteile einer selbstorganisierenden Organisation

Die Implementierung von selbstorganisierten Teams gewinnt immer mehr an Dynamik, da Unternehmen ihre Belegschaft für die Maximierung ihrer Produktivität engagieren wollen. Die Selbstorganisation bietet einer Organisation Vor- und Nachteile. Teammitglieder in selbstorganisierten Teams sind demnach:

Effektiver

Effizientere Arbeitsabläufe werden zum einen durch die reduzierte Anzahl von Stellenklassifizierungen erreicht. Zudem werden eigenverantwortlich genutzte Ressourcen schonender belastet

Engagierter

Selbstorganisierte Teams zeigen ein hohes Maß an Engagement. Organisationen erleben geringere Fehlzeiten und Fluktuationsraten.

Flexibler

Mit der Erweiterung der Selbstbestimmung wächst auch die Erkenntnis von Anpassungsbedarf. Teams können sich schnell an Veränderungen in der Umgebung anpassen.

Kollaborativer

Teammitglieder arbeiten verstärkt zusammen, da sie ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Kreativer

Selbstgesteuerte Arbeitsteams verfügen aufgrund der unterschiedlichen Hintergründe der einzelnen Mitglieder über ein breites Spektrum an Fähigkeiten. Dies hilft Teams, innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und kreative Lösungsansätze zu finden.

Motivierter

Die Übernahme von Verantwortung für das Projekt trägt zum Fokus und der Motivation der Teammitglieder bei. Die Interessen der Teammitglieder sowie die Arbeit selbst bekommt eine höhere Bedeutung. Diese wird somit als sinnvoller, abwechslungsreicher und ganzheitlicher erlebt, sodass sich die Potenziale der Mitarbeiter besser entfalten können.

Produktiver

Selbstverwaltete Teams sorgen für eine hohe Produktivität. Die Teammitglieder engagieren sich stärker für die Unternehmensziele, da sie stärker an der Erreichung dieser Ziele beteiligt sind. Ein größerer Anteil an den Ergebnissen stellt sicher, dass sich die Teams schnell mit den Problemen und Mängeln eines Produkts befassen und auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden eingehen.

Respektvoller

Es ist von entscheidender Bedeutung, die Ideen, Meinungen und die Arbeit Anderer zu respektieren, um als Team voranzuschreiten und auftretende Hürden zu überwinden.

Zufriedener

In selbstorganisierten Teams sind die Mitarbeiter zufriedner, weil sie direkt in den Unternehmensalltag eingebunden und unabhängiger sind. Diese direkte Einbindung hilft ihnen, sich besser mit den Zielen eines Unternehmens zu identifizieren. Zufriedenheit entsteht zudem durch die Entwicklung neuer Entscheidungs- und Problemlösungskompetenzen und die enge Zusammenarbeit in einem Team.

Nachteile einer selbstorganisierenden Organisation

Im Gegensatz dazu haben Organisationen mit selbstverwalteten Teams auch einige Nachteile.

Arbeitsmoral

Freizeitorientierte Mitarbeiter, die in ihrem Beruf ein Mittel zur Geldbeschaffung sehen, nehmen das Konzept der selbstorganisierten Teams nicht an. Sie möchten weder Initiative zeigen noch Verantwortung übernehmen.

Eskalation

In der Selbstorganisation ist keine Eskalationsebene vorgegeben. Sollte diese jedoch versagen benötigen Teams oft Hilfe in Form einer übergeordneten Instanz

Hohe Investitionen

Unternehmen, die den Übergang von einer traditionellen Führungsstruktur zu selbstorganisierten Teams vollziehen, müssen viel Zeit und Ressourcen in die Ausbildung von Führungskräften investieren

Konflikte

Soweit Verteilungs- und Kompetenzregelungen noch nicht ausgehandelt und etabliert sind steigt das Konfliktpotential innerhalb der Teams.

Managing Managers

Einige Mitarbeiter werden sich aktiv gegen das Konzept der selbstorganisierten Teams wehren, da es ihre Rolle zumindest in Teilen überflüssig macht. Organisationen müssen möglicherweise zusätzliche professionelle Schulungen für Manager anbieten. Manager, die neu eingesetzt werden, müssen eine hochspezialisierte technische Ausbildung erhalten, wenn sie z.B. als Ingenieure oder Software-Programmierer eingesetzt werden sollen.

Umfangreiches Training

Eine Ausbildung durchläuft mehrere Stufen und kann zwischen zwei und fünf Jahren dauern. Die Mitarbeiter werden zusätzlich geschult und müssen lernen, im Team effektiv zu arbeiten.

Überforderung

Die neu gewonnene Freiheit kann bei ungeübten Teams zu Beginn Angst und Überforderungsgefühle auslösen. Diese können zu regelrechten Blockaden werden. Einige Mitarbeiter sind schlichtweg nicht mehr in der Lage, sich an diese neue Struktur anzupassen.

Von der Selbstorganisation zur selbstorganisierten Organisation

Mit den Methoden der Soziokratie, Holoktratie Soziokratie 3.0 und Do-mokratie sollen die Grundprinzipien der Selbstorganisation auf die Organisation übertragen werden.

Was das ist lest ihr im Artikel Soziokratie, Holoktratie und Soziokratie 3.0 [link] und im Artikel Do-mokratie [link].

Die Herausforderungen der Methoden findest du hier [link], den Lösungsansatz der GehrigBesserer GmbH kannst du [hier] nachlesen.

 

 

 

 


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